Die ungetreue Spinnerin

In der Nähe von Döbra lebte auf einer Einzel eine alte Frau. Sie war weit und breit als beste Spinnerin bekannt, weil sie die feinsten Fäden drehte und nur einen geringen Lohn verlangte. Die Bauern brachten ihr den Flachs, doch von jedem Bündel nahm sie einen Rupfer für sich und steckte ihn in ihre Lade, die auf dem Dachboden stand. Mit der zeit wurde der große hölzerne Koffer randvoll. Die Frau wollte dieses Diebesgut nicht verspinnen, vielmehr sammelte sie den Flachs für ihren Sarg, um nach ihrem Tode nicht auf Holzspänen zu ruhen, sondern in weiche Flachsfasern gebettet zu sein.

Eines Tages, mitten bei der Arbeit, fiel sie am Spinnrad tot vom Stuhl, ohne ihren Töchtern etwas von ihrem Wunsche gesagt zu haben. Wie alle Verstorbenen wurde sie im Sarg auf Heu und Holzspäne gebettet und auf dem Friedhof zu Döbra begraben. Doch schon in der ersten Nacht nach dem Begräbnis rumorte es in der alten Lade so sehr, dass sich die beiden erwachsenen Töchter entsetzlich fürchteten. In der zweiten Nacht kam ihre Mutter im Traum zu ihnen und sagte: "Mädchen, von jedem Flachskranz habe ich einen Rupfer in die lade gesteckt. Sie ist geschwippert voll. Verteilt ihren Inhalt sogleich an die Leute, für die ich gesponnen habe, damit ich Ruhe im Grabe finde!" Die beiden Töchter brachten schon am nächsten Tage den aufgespeicherten Flachs zu den Leuten.  Nun rührte sich in der lade nichts mehr. Die Mutter hatte ihre Grabesruhe gefunden.