Das verzauberte Ritterfräulein

Ein junger Knecht hütete im Spätherbst auf dem Döbra. Da kam ein feines Fräulein in ganz alter Rittertracht auf ihn zu bat ihn, ihm zu folgen und alles zu tun, was es von ihm verlangte. Er sagte zu und folgte ihm durch das Dickicht in eine Höhle. Da sprach das Ritterfräulein zu ihm: "Ich bin von einem bösen Zauber hier festgehalten. Es soll dein Schaden nicht sein, wenn du mich von ihm erlöst. Habe Mut! Wir kommen jetzt an ein Tor. Das kannst du öffnen, wenn du von dem davorstehenden Rosenstock eine Knospe brichst und in das Schlüsselloch steckst. Sie feit dich auch vor aller Gefahr. Doch lass sie nicht aus der Hand!

Hinter dem Tore ist ein Gewölbe voller Gold und Edelsteine. Auch sitzen zwei Löwen darinnen. halt ihnen die Rosenknospe entgegen, und sie vermögen dir nichts zu tun. Von den Kostbarkeiten musst du dir zwei Hände voll nehmen, ja nicht  mehr! Dann musst du aus der Höhle gehen, den Rosenstock vor dem Tore ausreißen und in die Quelle am Hang setzen, dann hast du mich erlöst!"

Der Bursch tat zunächst, wie ihm geheißen. Doch als er mit der rechten Hand in den Schätzen wühlte, ward er von ihnen betört und griff auch noch mit der linken Hand hinein. Dabei entfiel ihm die Rosenknospe und war verschwunden. Sogleich die beiden Löwen, die bisher im Hintergrund der Höhle lauernd hin- und hergegangen waren, brüllend und zähnefletschend auf ihn los. Die Furcht übermannt ihn. Er stürzte aus der Höhle. Da rief ihm das Fräulein ängstlich nach: "Den Rosenstock! Den Rosenstock!" Er aber hörte nicht. Die Tore schlugen mit dem Donnergepolter zu, und das Ritterfräulein muss wieder hundert Jahre auf einen Erlöser harren.