Die Weiße Frau vom Döbra

In der Waldabteilung "Hohe Tanne" spukt die Weiße Frau. In ihren wallenden bleichen Gewändern schwebt die auf den Waldsteigen dahin oder huscht durch Gebüsch und Hochwald. herzergreifend tönt ihr leises Weinen und Klagen, furchtbar ihr Wehgeschrei: "Otto! Elsa!" So hallt es unheimlich durch den Forst.

Besonders in den unteren Nächten treibt sie ihr Wesen. Da weckt ihr jammern nicht nur die Schlafenden in den Dörfern am Berg, sie dringt sogar in die Wohnstätten ein und streicht den Schläfern mit ihren knochigen, eiskalten Händen übers Gesicht, dass sie jäh erwachen.

Ihre besondere Ungunst hatten sich zwei Männer von Kleindöbra auf irgendeine Weise zugezogen. Wenn der eine, ein Weber, in der Geisterstunde noch außer Haus weilte, geriet sie über ihn und hetze ihn heim. Daher richtete er seine Gänge stets so ein, dass er vor Mitternacht unter seinem Dache war. Einmal geschah es aber doch, dass er sich an einem Markttag in Schwarzenbach am Wald beim Einkaufen verspätete. Er eilte, dass ihm der Schweiß troff, um noch vor Mitternacht sein Anwesen zu erreichen. Doch wie er an der Stelle war, wo der Fußweg nach Kleindöbra von der Fahrstraße abzweigt, schlug die Geisterstunde. Und schon schwebte die Weiße Frau auf ihn zu. Sie entriss ihm sein Bündel und verstreute den mit sauer erworbenem Geld erstandenen Inhalt. Dabei ging das Geschirr in Scherben. Alsdann trieb sie ihn heim.

Dem anderen, einem Gütler, erschien sie tagtäglich, wenn die Uhr zum Schlage Mitternacht ausgehoben hatte. Fand sie ihn im Bett in der Kammer, so belästigte sie ihn während der Geisterstunden derart, dass er die ganze Nacht kein Auge mehr zutun konnte. Sie warf ihn sogar jedes Mal aus dem Bett. Daher schlief er vor zwölf Uhr immer auf der Ofenbank.

Pünktlich um Mitternacht sah die Weiße Frau nach ihm, strich dem Ruhenden dreimal über den Kopf und verschwand. Nun konnte er zu Bett gehen und sich eines gesunden Schlafes erfreuen.